DRG, Corona und Asklepios

Am UKGM kommt eine Plage zur anderen
"Danke, Leuten am UKGM - Löhne rauf, Konzerne raus!"

Wir haben  den Kolleg*innen am #UKGM einen Gruß überbracht um ihnen für ihre Arbeit zu danken und sie in ihrem Kampf für höhere Löhne und gegen Profitdruck zu unterstützen. Dazu haben wir ein paar Zeilen verfasst, was passiert, wenn die #Corona-Krise auf das einzige privatisierte Uniklinkum Deutschlands trifft:

DRG, Corona und Asklepios - Am UKGM kommt eine Plage zur anderen

Patient*innen, die ohne ärztliche Anordnung fixiert werden, die über eine Magensonde ernährt werden, weil die Unterstützung bei der normalen Nahrungsaufnahme zu zeitaufwendig wäre, Menschen, die in ihren Ausscheidungen liegen, weil die Zeit für die Körperpflege fehlt – diese Berichte aus dem Krankenhaus stammen nicht aus aktuellen Corona-Notstandsgebieten, sondern aus der Marburger Lokalpresse Ende 2019. Betriebsräte vom UKGM haben der Oberhessische Presse anonymisierte Überlastungsanzeigen von Beschäftigten zugänglich gemacht, um auf den ganz normalen Notstand in der Uniklinik hinzuweisen. Der Notstand hat System: Politisch gewollter Konkurrenzdruck plus Verkauf an eine profitorientierte Aktiengesellschaft sind Gift für ein Gesundheitssystem, das sich eigentlich am gesellschaftlichen Bedarf orientieren sollte. Die Corona-Krise wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen führen, was eigentlich schon länger klar ist: Krankenhäuser sind Bestandteil der Daseinsvorsorge – Markt und Profitlogik verhindern, dass sie ihrem Auftrag nachkommen können. Sie gehören unter demokratische Kontrolle statt unter die Fuchtel von Profitmaschinen.

Die Schuld liegt nicht bei Rhön allein

Wir wollen nicht unfair sein: Dass sich am UKGM in den letzten Jahren der wirtschaftliche Druck verstärkt hat, ist nicht das Werk der #Rhön-AG allein. Missstände wie die eingangs zitierten finden sich landauf, landab in vielen Krankenhäusern, auch in solchen, die nicht privatisiert worden sind. Die Gründe dafür liegen im 2005 erneuerten System der Krankenhausfinanzierung. Krankenhäuser sollen die Mittel für die langfristigen Investitionen von den Bundesländern bekommen; ihre laufenden Kosten für die Patientenversorgung rechnen sie mit den Krankenkassen ab. Dieser zweite Teil macht den Löwenanteil des Krankenhausbudgets aus. Er wird über die sog. #DRG (Diagnosis Related Groups) abgerechnet – diagnosebezogene Fallpauschalen. Unterschiedliche Behandlungen werden nach unterschiedlichen Preisen von den Kassen bezahlt. Gut für die Bilanz ist es, möglichst viele gut vergütete Fälle mit möglichst geringem Aufwand abzuwickeln und solche Fälle zu vermeiden, die nicht gut bezahlt sind oder Komplikationen in der Behandlung erwarten lassen.
Die entscheidende Stellschraube für die Kosten- und Erlösstruktur war jahrelang das Personal, nicht zuletzt in der Pflege: Entsprechend zeigt die Statistik bundesweit eine deutliche Zunahme der behandelten Fälle pro Pflegekraft. Dabei nehmen insbesondere Fälle zu, die im DRG-Katalog „hochpreisig“ sind, und die sich gleichzeitig gut planen lassen (zum Beispiel Hüftgelenksersatz oder Kaiserschnitte). Gleichzeitig ist der Druck aufs Pflegepersonal immer unerträglicher geworden. Auch das ist ein Grund dafür, dass viele in Teilzeit gehen; nicht wenige kehren dem Krankenhaus ganz den Rücken. Es regt sich aber auch Widerstand, der längst nicht mehr ignoriert werden kann.
Nachdem die Proteste des Pflegepersonals einschließlich spektakulärer Streiks in mehreren Häusern nicht mehr zu übersehen waren, hat die Politik auf Bundesebene inzwischen reagiert und die Pflege aus der Abrechnung über die DRG herausgenommen. Das mag den weiteren Abbau von Personal stoppen, wird aber den Pflegenotstand nicht beseitigen, solange der ökonomische Druck insgesamt bestehen bleibt. Und für andere Berufsgruppen dürfte es den Stress erhöhen – irgendwo muss ja rausgeholt werden, was jetzt bei der Pflege nicht mehr zu kriegen ist.
Dieser Druck wird in der Corona-Krise noch aus anderen Gründen zum Problem: Abgerechnet werden kann nur die einzelne Behandlung. Für den Aufbau von Notfallkapazitäten ist kein Geld vorgesehen. Schon Fachgebiete, die üblicherweise Kapazitäten vorhalten müssen, weil die Auslastung nicht berechenbar ist, stehen deswegen auf der Abschussliste (die Schließung der Geburtsstation im Diakoniekrankenhaus #Wehrda dürfte diesen Hintergrund haben). Die jetzt allerorten sich zeigenden Knappheit von Betten und Material ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen.

Sparen, Sparen, Sparen?

Oft wird gesagt: Das Gesundheitswesen wurde kaputtgespart. Das ist zwar nur ein Teil der Wahrheit (die Ausgaben für Krankenhäuser haben im DRG-System insgesamt deutlich zugenommen), aber ganz falsch ist es nicht. Die Bundesländer haben im Zeichen von Schuldenbremse und schwarzer Null überall die Investitionsförderung zurückgefahren. So muss das Geld für nötige Investitionen aus dem laufenden Betrieb erwirtschaftet werden – der Kniff dafür ist wiederum: mehr lukrative Fälle mit möglichst geringem Personalaufwand abwickeln.
Nun haben wir es beim UKGM mit dem einzigen privatisierten Uniklinikum in Deutschland zu tun. Die hessische #CDU-Regierung hat die Unikliniken in #Gießen und #Marburg zusammengelegt und 2006 an die Rhön AG vertickt. Großspurig hat diese im Kaufvertrag auf die übliche Investitionskostenförderung verzichtet, um die Behauptung zu untermauern, dass ein Privatkonzern effizienter arbeitet und nicht auf öffentliches Geld angewiesen ist. Inzwischen sieht sie das anders und will gern wieder aus den knappen Landesmitteln bedient werden. Zusätzlich gibt es das Gezerre um die sogenannte „Trennungsrechnung“: Die Uniklinik ist ja immer noch ein Forschungs- und Lehrbetrieb und nicht nur eine Krankenhausfabrik. Für diesen Teil ist nach wie vor das Land als Unibetreiber zuständig, und im Detail kann man sich offenbar trefflich darüber streiten, wer genau für welchen Ausgabenposten zuständig ist, wenn Behandlung, Forschung und Lehre in den gleichen Fluren stattfinden. Auf diesem Weg versucht das Unternehmen schon jetzt, soviel staatliche Gelder wie möglich abzugreifen. Die Privatisierung von Krankenhäusern ist immer ein Fehler – bei der Unikinik ist sie besonders verrückt.

Rhön und Asklepios

Aktiengesellschaften funktionieren bekanntlich nach dem schlichten Muster, dass Investoren Unternehmensanteile kaufen, weil sie entweder hoffen, diese später teurer weiterverkaufen zu können, oder weil sie auf die Auszahlung einer einträglichen Dividende hoffen. Um diese Erwartung zu erfüllen, muss das Unternehmen zusätzlichen Gewinn erwirtschaften, der bei den Anteilseignern landet. Es ist egal, ob das Unternehmen Autos baut, Sozialwohnungsbestände aufkauft und vermietet oder sich auf Herzkatheter und Endoprothesen spezialisiert: Hauptsache, aus Belegschaft und/oder Kundschaft lässt sich genug rausholen. Hauptsache, das investierte Kapital kann vermehrt werden.
Dafür, dass sich diese Logik im deutschen Krankenhaussektor breitmachen konnte und dass inzwischen über ein Drittel aller Krankenhäuser privat, profitorientiert bewirtschaftet werden, wurde der Weg in den 80ern und 90ern bereitet: Früher galt das Selbstkostendeckungsprinzip, in dem Krankenhäuser nach ihrem tatsächlichen Aufwand vergütet wurden. Darin kann es für das einzelne Haus zwar Prüfungen, Berechnungen usw. geben, aber eben keine Gewinne und keine Verluste. Das wurde 1985 geändert. Erst seitdem sind Krankenhäuser überhaupt als Investitionsobjekte interessant – welcher Kapitalist will schon eine Unternehmung, die zwangsläufig immer auf Null landet?
Eine solche Vorgabe, ein Gewinnverbot im Krankenhaus, gehört wieder auf die Tagesordnung. Der Vergleich mit Autokonzernen oder Immobiliengesellschaften sollte eigentlich allen die Haare zu Berge stehen lassen – wenn überhaupt, sind Krankenhäuser vielleicht mit Feuerwehren oder mit Schulen zu vergleichen, und wer würde von denen ernsthaft erwarten, dass sie mit ihrer „Kundschaft“ oder einer Versichertengemeinschaft so abrechnen, dass sie stets aus eigner Kraft in den schwarzen Zahlen sind? Mit einem erneuerten Gewinnverbot im Krankenhaus hätte sich das Problem der Investoren, die ihrem Vermögen beim Wachsen zuschauen wollen, sehr schnell erledigt. Zumindest im Krankenhaus.
In Gießen und Marburg wird es jetzt erstmal anders kommen. Auch im Krankenhausbereich herrscht das übliche Monopoly der Kapitalkonzentration, durch Fusionen und Übernahmen schrumpft die Zahl der Mitspieler. Das UKGM ist bald in der Hand von #Asklepios. Das ändert erstmal nichts an der Logik des Geschäfts, die so oder so über den Haufen geworfen werden müsste. Allerdings hat Asklepios sich an anderen Orten bereits als ausgesprochen aggressiv im Umgang mit Beschäftigten, Betriebsräten und Tarifverträgen gezeigt. Für die Beschäftigten am UKGM dürfte daher jetzt besonders gelten: Passt gut auf, und unterschreibt nichts (außer das Beitrittsformular der Gewerkschaft).

Corona is coming

Jetzt rollt die Corona-Infektionswelle also auf ein Klinikum zu, das sowieso chronisch an der Belastungsgrenze arbeitet. Die grundsätzlichen Probleme lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen lösen. Trotzdem gibt es Spielraum. Zuerst kommt es jetzt darauf an, Kapazitäten freizumachen und nicht bis zum letzten Moment zu warten, um dann mit ausgelaugten Beschäftigten in die Bewältigung der Krise zu starten. Die Leitung des UKGM hatte es nicht gerade eilig damit, sogenannte elektive Eingriffe (also die planbaren, nicht akut notwendigen Operationen) abzusagen – das System verlangt Gewinne! Es braucht jetzt Luft im Betrieb, um die Strukturen anzupassen. Dazu gehört vor allem: Den Beschäftigten zuhören, was sie jetzt brauchen, um den erwartbaren Ausnahmezustand zu bewältigen! Beschäftigte aus allen Berufsgruppen müssen in die Planung eingebunden werden, Stationen müssen umgewidmet werden. Das Personal braucht Sicherheit: Schutzkleidung, Kinderbetreuung und psychologische Betreuung müssen gewährleistet sein. Die Reinigung muss in die Lage versetzt werden, so gut wie möglich zur Verminderung der Infektionsrisiken beizutragen. Es braucht engmaschige Tests, gerade in der Pflege. Die Rhön AG hat mit der Ausbeutung der Hilfsbereitschaft und des Verantwortungsbewusstseins von Pflegekräften und Ärzt*innen ihre Gewinne gemacht. Wenn die Klinikleitung jetzt befürchtet, dass Corona zum Minusgeschäft wird, soll sie sich mit dem Gesundheitsminister und den Kassen anlegen, aber muss alles unterlassen, was die Gesundheit von Beschäftigten und Patient*innen gefährdet!

Applaus macht nicht satt: wir sehen uns nach der Krise

Wenn die Sache ausgestanden ist, werden wir zu reden haben. Markt und Profit haben uns alle in Gefahr gebracht, sie werden aber nicht von selbst aus der Logik des Gesundheitssystems verschwinden. In vielen Krankenhäusern gibt es inzwischen immerhin verbindliche Regeln über die Personalbesetzung. Nirgendwo sind diese Regeln mit guten Argumenten allein zustande gekommen. Es brauchte lange Arbeitskämpfe oder die sehr glaubhafte Drohung mit solchen Arbeitskämpfen, um hier voranzukommen. Die Vernunft siegt mit Krawall & Remmidemmi, das war schon immer so. Das Programm ist klar:

  • Verbindliche, bedarfsorientierte Personalbemessung – wenn nicht per Gesetz, dann per Tarifvertrag!
  • Abschaffung der DRG, zurück zur Selbstkostendeckung!
  • Gewinnverbot im Krankenhaus!
  • demokratische #Vergesellschaftung der privatisierten Kliniken!
  • Rhön und Asklepios enteignen!
  • Politische, bedarfsorientierte Krankenhausplanung statt Marktorientierung!

In diesem Sinne: Wir applaudieren den Beschäftigten im UKGM, die alles tun werden, um diesen Ausnahmezustand zu bewältigen. Aber wir wissen auch: Kapitalismus schadet der Gesundheit, und Profite pflegen keine Menschen!

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Du willst mit uns für Gesundheit ohne Profitzwang kämpfen? Das geht z.B. hier:

"Krankenhaus statt Fabrik"
Die Interventionistische Linke beteiligt sich in vielen Städten an den Krankenhaus-Solidaritätsbündnissen. Außerdem ist sie beim Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ dabei. Wer sich genauer mit den unheilvollen Auswirkungen von Markt und Profit im Krankenhaus und mit Alternativen dazu beschäftigten möchte, wird auf der Seite www.krankenhaus-statt-fabrik.de fündig.

Marburger Aktionsbündnis Gemeinsam für unser Klinikum
Das Bündnis hat sich anlässlich der Privatisierung des Uniklinikums gegründet. Mit der bevorstehenden Übernahme durch Asklepios hat es sich jüngst wieder berappelt und will jetzt weiter für eine Uniklinik in öffentlicher Hand streiten. Neue Mitstreiter*innen sind gern gesehen – die Arbeit geht auch auf Distanz weiter: facebook.com/aktionsbuendnisfuerunserklinikum/ | buendnisklinikum@posteo.de