Über den Zusammenhang von Klimakrise und Mietenwahnsinn

Redebeitrag zur Demonstration "Sauberes Erdgas ist eine dreckige Lüge" am 17.07.2021
Nachbarschaftsfest am Richtsberg
Nachbarschaftsfest am Richtsberg nach gewonnenem Kampf gegen Mieterhöhung (2019)

Am 17.07.2021 waren wir mit fridaysforfuture und der Klimagruppe in Marburg auf der Straße. Unter dem Motto "Sauberes Erdgas ist eine dreckige Lüge" demonstrierten über 100 Menschen trotz Hitze und Sommerloch vom Hauptbahnhof zum Denkmal für die Opfer rassistischer Gewalt am Friedrichsplatz. In unserem Redebeitrag vor dem Welcome Hotel am Marburger Biegeneck haben wir die Verbindung der sozialen Kämpfe um das Klima und gegen den Mietenwahnsinn aufgezeigt. Dem historischen Ort geschuldet war auch ein Hinweis auf die Kämpfe um das Biegeneck 1989 - 1993.  Damals zerbrach die erste Rot-Grüne Marburger Koaltion an dieser Frage und es war der Grüne Minister Joschka Fischer eine Ausnahme im Baugesetz einführte, den Neubau trotz Nähe zum fließenden Gewässer eines Seitenarms der Lahn durchzuführen (Dazu ein Artikel aus dem PHILLIP MAG: https://philippmag.de/hande-weg-vom-biegeneck). Ein entsprechend sehenswerter Film dazu soll bald wieder im Rahmen eines Open-Air Kinos am Café Trauma geziegt werden. Entsprechende Ankündigungen findet ihr z.B. im Telegramkanal von https://t.me/linkeslebenmr

"Liebe Freundinnen und Freunde,

"Mietenwahnsinn? Was hat meine Miete mit dem Klima zu tun?" werden sich sicher nicht wenige von Euch jetzt fragen. Ich erspare Euch die Statistiken von mehr als 30%, die der Gebäudebereich zu den Treibhausgasemmissionen beiträgt. Ich erspare Euch die Kritik an den rein technokratischen Lösungsvorschläge der Herrschenden, die sagen: "Wir brauchen nur alle eine Solarzellen auf dem Dach, dann klappt das schon mit dem Klimawandel". Wer sich dafür interessiert, dem seien zwei Broschüren ans Herz gelegt, die wir auf Facebook und unserer Webseite verlinken werden. Die erste Broschüre heißt "Sanierung ohne Verdrängung" zur energetischen Gebäudesanierung zwischen Klimakrise und dem Recht auf Wohnen von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die zweite Broschüre haben wir selbst geschrieben, sie heißt "Enteignen ist die halbe Miete". Ich erspare euch also diese ganzen Zahlen, Daten und Fakten und will stattdessen eine kleine Geschichte erzählen.

Die Geschichte handelt von einer Mieterin hier aus Marburg und hat sich so, oder so ähnlich zugetragen. Diese Mieterin, nennen wir sie Alexandra, lebt schon ihr ganzes Leben auf dem Marburger Richtsberg. Der Richtsberg ist einer jener getthoisierten Stadtteile Marburgs, die zu unrecht als soziale Brennpunkte verschrien sind. Die Menschen dort sind sehr sozial. Die Busverbindungen, die Müllabfur, das Freizeitangebot - kurz, die sozialen Infrastrukturen sind es, die unsozial sind.
Anfang 2019 flatterten bei Alexandra und über 400 anderen Wohnungen Briefe ihrer Vermieterin, der GWH, ein. Darin stand in bürokratischem deutsch, dass die Heizung nicht zuletzt wegen des Klimawandels von Erdgas auf Fernwärme umgestellt werden müsse. Dafür müsse eine neue Heizung gebaut werden. Soweit so gut, denkt sich Alexandra. Die Kosten für diese angebliche Modernisierung sollen allerdings die Mieter:innen tragen. Alexandra ist Alleinerziehend und arbeitet im Schichtdienst am privatisierten Universitätsklinikum. Wenn die Miete teurer wird, weiß sie nicht, wie sie ihrer Tochter die neue Winterjacke kaufen soll. Und ihr Nachbar, Herr Kosic, würde wahrscheinlich gar nicht mehr können und in Hartz 4 abrutschen. Das hat er aber erst verstanden, als Alexandra ihm das erklärt hat. Herr Kosic spricht nicht gut deutsch und versteht den Brief nicht. Die GWH weiß das, aber es ist ihr egal. Jahre lang wurde nichts an den Wohnungen gemacht. Im Winter muss Alexandra die Heizung aufdrehen und durchlaufen lassen, weil es in der Wohnung sonst zu kalt ist. Die Nebenkosten sind deswegen schon lange sehr hoch. Alexandra will die neue Heizung und den Klimawandel bekämpfen, allein schon wegen ihrer Tochter. Aber warum soll sie die Heizung zahlen, um die sich die GWH nie gekümmert hat? Und vor allen Dingen wie?

Alexandra ist wütend und beginnt mit ihren Nachbar:innen darüber zu sprechen. Sie organisieren eine Hausversammlung und sammeln Unterschriften gegen die Mieterhöhung. Die GWH kommt mit Anzugträgern aus Frankfurt, um die Maßnahmen zu rechtfertigen.

"Die neue Heizung ist irgendwann von uns abbezahlt aber die Mieterhöhung bleibt. Euch geht es nicht ums Klima, ihr wollt nur unser Geld!"

schreit Alexandra die Anzugträger an. Der Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies von der SPD schaltet sich ein und selbst der CDU wird die Sache zu heiß. Die Linke stellt Anträge für die Mieter:innen und die Grünen sind hin und her gerissen, weil die neuen Heizungen doch so schön das Klima schützen. Vielleicht sollte die Stadt - wir alle also - der GWH die neue Heizung und damit die Profite zahlen? Der öffentliche Druck in Marburg wird schließlich für die GWH zu groß. Sie nimmt die Mieterhöhung zurück.

Was für eine Freude! Alexandra und ihre Nachbar:innen haben gewonnen! Ihre Tochter kann doch die neue Winterjacke bekommen. Doch leider wird sie die auch brauchen. Die GWH hat nämlich beschlossen, nun garkeine neue Heizung zu bauen. Stattdessen muss Alexandra weiter mit Erdgas heizen und das den ganzen Winter durch, weil die Wohnung nicht gedämmt ist. Aber Alexandra lässt sich nicht mehr Einschüchtern und auch nicht Verarschen:

Sie weiß, dass sie nicht schuld daran ist, dass sie viel heizen muss. Sie hat die schlechte Dämmung nicht gemacht!
Sie weiß, dass sie nicht schuld daran ist, dass sie mit Erdgas heizen muss. Sie hat die Heizung nicht gemacht!
Sie weiß, wenn wir soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz wollen, also Klimagrechtigkeit, dann geht das nur gemeinsam. Von unten und gegen die Herrschenden, gegen die Profiteure der Klimakrise!

Sie will die neue Heizung. Für sich, ihr Kind und ihre Nachbar:innen. Aber keine Partei, keine Vermieter:in, ob GWH oder sonstwer, wird das von sich aus für uns tun.

Das alles ist jetzt 2 Jahre her und Alexendra wohnt noch immer dort. Als außerparlamentarische, als Interventionistische Linke, haben wir Alexandra und ihre Nachbar*innen in ihrem Kampf unterstützt. Wir sind mit ihr von Tür zu Tür gegangen, haben Räume zum Versammeln organisiert und Flyer in verschiedene Sprachen übersetzt.

Warum wir das gemacht haben?
Weil Alexandras Kampf ein Kampf für gute und bezahlbare Wohnungen ist, wenn die Miete nicht steigt.
Weil Alexandras Kampf ein Kampf für eine klimagerechte Welt ist, wenn die neue Heizung endlich kommt.
Weil Alexandras Kampf ein Kampf für eine Welt ohne Rassismus und Sexismus ist, wenn sie Herr Kosic den Brief übersetzt und als alleinerziehende Mutter dort wohnen bleiben kann.

Alexandras Kampf nennen wir Klassenkampf, weil Alexandra für uns alle kämpft. Auch, wenn ihr selbst gar nicht so klar ist. Sie kämpft für ein gutes Leben in einer schöneren Welt.

Zum Abschluss möchte ich einen kurzen Ausblick wagen: Aktuell tobt ein Machtkampf in Marburg - Die Grünen haben Klage gegen die Stichwahl zur Oberbürgermeisterwahl eingereicht und damit das Verhältnis für eine mögliche linke Koalition zerstört. Obwohl eine große Mehrheit in Marburg beständig für Klimagerechtigkeit und gegen Mietenwahnsinn oder Rassismus auf die Straße geht,scheitern die Parteien.
Das aktuelle Politik-Theater um Posten und Pöstschen zeigt die ganze Tragik parlamentarischer Politik in einem bürgerlich-kapitalistischen Staat. Dieses Theater löst keines unserer Probleme. Weder die Klimakrise, noch die Wohnungs-, Rassismus- oder die Gesundtheitskrise. Wie Alexandra müssen wir lernen, dass wir nicht darauf warten dürfen, dass andere für uns diese Krisen lösen. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir es selbst tun!

Doch die Welt veärndern heißt nicht, nur noch Bio-Produkte zu kaufen oder Alexandra dafür zu kritisieren, dass sie es nicht tun. Grüner Kapitalismus ist eine ebenso dreckige Lüge wie sauberes Erdgas! Die Welt zu verändern, dass heißt, dass wir uns wie Alexandra organisieren müssen. In unseren Nachbarschaften, Freundeskreisen, auf der Arbeit, in Uni oder Schule. Wir müssen uns politisch organisieren und die sozialen Bewegungen stärken.

Deswegen: Fahrt mit fff Ende Juli gegen dreckiges Erdgas nach Brunsbüttel. Wir sagen: Auf gehts, ab gehts, EndeGelände!"

Quellen:
IL (2020): Enteignen ist die halbe Miete. Online: https://interventionistische-linke.org/sites/default/files/attachements/il-enteignen-ist-die-halbe-miete.pdf
RLS (2019): Sanierung ohne Verdrängung. Online: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Analysen/Analysen59_Klimaschutz.pdf